Xx
Ausstellung

THE SCORCHED EARTHLY. A SIT-IN
im Rahmen der Ausstellung „Die Fliege is a fly in volo“

4.4.2023—27.5.2023

Kuratiert von Zasha Colah, Francesca Verga und Valentina Viviani

04.04.2023

17:30 Uhr Performativer Spaziergang The Missing Forest, Poly Marchantia, 45 Minuten. Die Spazierengang beginnt hier, nahe der Talferbrücke
18:30 Uhr Eröffnung von Scorched Earthly. A Sit-in in der Ar/Ge Kunst
19:00 Uhr Vortrag von Franz Xaver Augustin, 45 Minuten Vortrag in deutscher Sprache
20:00 Uhr Performance Crimson Conquest, Yadanar Win und Ko Latt, 20 Minuten
20:30 Uhr Performance, Valeen Jules

Arbeitsgemeinschaft: Chaw Ei Thein (Künstlerin, Yangon, 1969), Soloman Chiniquay (Künstler und Filmemacher, xʷməθkʷəy̓əm, Sḵwx̱wú7mesh, səl̓ilwətaɁɬ Territory und Treaty 7 Territory), Valeen Jules (Künstlerin*, Dichterin* und Geburtsbegleiterin*, Nuu-chah-nulth und Kwakwaka'wakw Nations), Desmond Kharmawphlang (Dichter, Shillong, 1964), Ko Latt (Künstler, Yangon, 1987), Arkotong Longkumer (Anthropologe, Kohima, Nagaland), Saviya Lopes (Künstlerin, Vasai, 1994), Poly Marchantia (Künstlerin, Mailand, 2020), Nge Lay (Künstlerin, Pyin Oo Lwin, Mandalay Region, 1979), Zamthingla Ruivah (Künstlerin und Songwriterin, Ukhrul, Manipur, 1966), Yadanar Win (Künstlerin, Yangon, 1987), Sawangwongse Yawnghwe (Künstler, Shan State, 1971)

The Scorched Earthly behandelt die Politik der verbrannten Erde – wie auch die zahlreichen, bis heute angewandten Formen dieser militärischen Maßnahme – in Gebieten, die sich im Wesentlichen dadurch auszeichnen, dass sie als nicht an staatliche Autoritäten abgetreten oder von diesen regierbar gelten. In dem als Zomia bezeichneten Hochland zwischen dem Nordosten Indiens und Myanmar sowie dem Land der First Nations (vor allem den nicht abgetretenen Gebieten British Columbias in Kanada) erzählen orale Literaturen von routinemäßig verfolgten Praktiken der verbrannten Erde. Diesen Regionen werden jüngste Orte des Protestes gegenübergestellt, dessen Unterdrückung mit ebensolchen Taktiken einhergeht.

In Form eines Sit-in, das in der Ausstellung Die Fliege is a fly in volo stattfindet, erzählt das akustische Archiv von friedlichen Protesten und Widerstandsbewegungen. Diese haben städtische Straßen, Autobahnen und Waldgebiete besetzt oder beansprucht und zu diesem Zweck Gemeinschaften begründet, die sich gegen die Militarisierung von Land, gegen die Unterdrückung spiritueller Praktiken und den Entzug von Lebenskräften wenden.

The Scorched Earthly präsentiert poetische Stimmen und künstlerische Aktionen aus Gebieten, die das Erleiden von und den Verzicht auf Maßnahmen der verbrannten Erde miteinander verbindet. So vereint das Archiv Erzählungen über das Abschlachten von Büffeln in British Columbia mit Liedern über abgebrannte Wälder, über Gaidinlius heraka-Bewegung und die Wiederbelebung eines heiligen Waldes durch die Schwarze Priesterin in Zomia ebenso wie mit Zeugnissen über die Aktion In Defence of the Native Forest in Córdoba in Argentinien, über Menschensperren während der Chipko-Bewegung, der Besetzung einer Nationalstraße durch Shaheen Bagh und der Proteste indischer Bäuer*innen wie auch der Fairy Creek Blockade in British Columbia und der htamein-Barrikaden in der Artists’ Street in Yangon im Jahr 2021.

The Scorched Earthly wird sich zu einem Forschungsarchiv über die Infrastrukturen widerständiger, unregierbarer Gebiete weiterentwickeln. Neu in Auftrag gegebene Arbeiten, Tonaufzeichnungen und Objekte, die mit mündlichen Traditionen in Zusammenhang stehen, sollen gesammelt und in der Organisation 221A in Vancouver verwahrt werden. Die erste Aktivierung bei der Ar/Ge Kunst hat die Form eines Sit-in/einer Klangskulptur, die drei performativen Auftragsarbeiten Raum gibt. Den Rahmen bilden von Zamthingla Ruivah entworfene Webarbeiten. Für den Aufbau und die räumliche Gestaltung des Audioarchivs zeichnet der Musiker Carlo Barbagallo (Siracusa, 1985) verantwortlich.

The Scorched Earthly wird von 221A in Vancouver unterstützt. Das Projekt wurde gemeinsam mit Jesse McKee, Leiter des Bereichs Strategie, und Tao Fei, Produzentin, strategische Initiativen, in Auftrag gegeben. Die Finanzierung übernahm das International Presence Program der Provinz British Columbia. Die Organisation 221A erforscht und entwickelt soziale, kulturelle und ökologische Infrastrukturen in Zusammenarbeit mit Künstler*innen und Designer*innen. Weiterführende Informationen unter: 221A

The Missing Forest, ein Spaziergang

Die Spazierengang beginnt hier, nahe der Talferbrücke

The Missing Forest schlägt einen Bogen zwischen der Chipko-Bewegung im Indien der 1970er-Jahre und der Protestaktion In Defence of the Native Forest, die 2017 in Córdoba in Argentinien stattfand. Im Fokus stehen Choreografien von Körpern, die Bäume als eine Form des friedlichen Protests gegen Abholzung umarmen, gleichermaßen wie Choreografien sich erinnernder Körper zur Vergegenwärtigung des nicht mehr existierenden Waldes. Dabei geht es darum, über Formen des Schutzes und Widerstands nachzudenken, Erinnerung als etwas zu begreifen, das über rein intellektuelles Denken hinausweist, als etwas, das mit und von dem Körper selbst geschrieben wird – und insofern an die Vorstellung des Muskelgedächtnisses anknüpft. Die künstlerische Forschung erhält hier die Form einer kollektiven Aktion, bestehend aus einem Spaziergang sowie Gesten der oben erwähnten Proteste, um auf diese Weise die Erinnerung an verschwundene Wälder aufzurufen.
– Text von Poly Marchantia

Der politische Hintergrund zeitgenössischer Kunst in Myanmar

Franz Xaver Augustin, der von 2014 bis 2019 Leiter des Goethe-Instituts in Yangon war, gibt eine kurze Einführung in den politischen Hintergrund der zeitgenössischen Kunstszene in Myanmar. Unter besonderer Berücksichtigung der Kunst von Htein Lin beschreibt sein Vortrag die sozio-politischen Bedingungen, unter denen myanmarische Künstler*innen vor und nach dem Militärputsch vom Februar 2021 leben und arbeiten.

Die Performance Crimson Conquest

Aufgrund der lebensbedrohlichen Lage und des sich zuspitzenden zivilen Konflikts mit der Militärregierung haben zahlreiche Menschen in Myanmar, vor allem politische Aktivist*innen, ihre Häuser und ihr Land verlassen. Wenngleich sie für eine gerechte Sache eintreten, hat das Wort „Gerechtigkeit“ doch seine Bedeutung verloren. Etliche bekannte wie unbekannte Gesichter haben ihren Körper und ihr Leben für die Revolution gegeben. Die Performance Crimson Conquest verwendet Blumen und Gedichte, die den Held*innen des Frühjahrs, ihren Opfern, ihren weinenden Mütter, inhaftierten Schwestern und Freund*innen gewidmet sind. Dies ist eine Art, mit ihnen zu tanzen, während wir weiterkämpfen.
– Text von Yadanar Win und Ko Latt

Performance-Gedicht

Valeen Jules hat sich auf die Suche nach Wissen über die Anfertigung, Verarbeitung und Pflege von Fischleder begeben, das in den Oralituren der Vorfahren, der Nuu-chah-nulth und Kwakwaka'wakw Nations, Erwähnung findet. Die daraus hervorgegangenen Performance-Gedichte erzählen von Gedächtnisverlust und Kulturbruch durch Politiken der verbrannten Erde, und die Lederskulpturen legen als Objekte der Oralitur Zeugnis ab von kultureller Weitergabe und einem Kontinuum des Widerstands.

Bildnachweis:  'In Defence of the Native Forest', protest organised by CoDeBoNa (Coordinadora en Defensa del Bosque Nativo) Córdoba, Argentina, March 2017. Photo copyright: Colectivo Manifiesto.