Zachary Formwalt, film still from In Place of Capital, single channel HD video with sound, 2009 Courtesy the artist
Ausstellungen

ZACHARY FORMWALT

5.2.2011—2.4.2011

Kuratiert von Luigi Fassi

Die künstlerische Arbeit von Zachary Formwalt ist von einer philosophischen Auseinandersetzung mit den wirtschaftsgeschichtlichen Ereignissen von der Neuzeit bis zur Gegenwart gekennzeichnet. Die entscheidenden Momente dieser Ereignisse werden über eine vielfältige und vielgestaltige Untersuchung der Materialien und Geschehnisse jener Zeit herausgearbeitet und führen auf diese Weise zu zahlreichen offenen Interpretationen. Formwalts künstlerisches Interesse gilt der Beziehung zwischen der Entwicklung der Moderne und den komplexen Mechanismen der kapitalistischen Ökonomie. So analysiert er aus marxistischer Perspektive den Einfluss der Wirtschaftsgeschichte auf die europäische und amerikanische Gesellschaft und Kultur ab dem 17. Jahrhundert. Der Künstler verwendet in diesem Kontext visuelle Materialien aus unterschiedlichsten Quellen, die mit Massenkommunikation, mit Kino und der Geschichte der Kunst zu tun haben. Anhand dieser Materialien beleuchtet er kritisch die Reihenfolge der Kapitalflüsse und ihre kulturellen Auswirkungen. Wie sehr sind wir uns der symbolischen Mechanismen bewusst, die die Logik des Kapitalismus bestimmen? Verstehen wir ihre Auswirkungen auf die Kultur der zeitgenössischen Welt in vollem Umfang?
Auf diese Fragen antwortet Formalt in seiner Arbeit In Place of Capital (2009). Dabei untersucht er die technologische Entwicklung der frühen Fotografie Ende des 19. Jahrhunderts und parallel dazu die Strategien des Kapitalismus jener Zeit.

Die Analyse des Künstlers beginnt bei einem ganz spezifischen historischen Augenblick Mitte des 19. Jahrhunderts in England. Sie zeigt die Schwierigkeiten der damals von William Henry Fox Talbot entwickelten Fototechnik, bewegliche Personen und Dinge fotografisch festzuhalten. Unbewusst reflektiert die Fotografie jener Zeit die ökonomische Unmöglichkeit, auf rationelle Weise die Kapitalflüsse zu erforschen. Marx zufolge kommt die Bewegung der Kapitalproduktion in dem Augenblick zum Stillstand, in dem sich das Kapital realisiert, übrig bleibt bloß stilles Geld.
In den von Formwalt ausgewählten Bildern des Royal Exchange Building, der Börse von London, treffen zwei Vorstellungen von Kapital aufeinander. Die offizielle, von den Architekten des Gebäudes geplante Repräsentation sieht eine allegorische Gottheit des Handels vor, die im Zentrum des Gebäudes als Schutzpatronin der Börse thront. Eine zweite Repräsentation des Kapitals resultiert hingegen aus dem Stand der Fototechnologie jener Zeit, die nicht in der Lage war, den realen Bewegungsfluss der Menschen und Waren in den belebten Straßen rund um die Börse auf Film zu bannen.
Auch Through a fine Screen (2010) verknüpft einige Episoden der Geschichte der Fotografie und der Ökonomie miteinander, um die soziale Realität unserer Zeit zu beleuchten. Ausgangspunkt der Arbeit ist die Geschichte des Central Park in New York, der 1856 eingeweiht wurde und sowohl im 19. als auch im 20. Jahrhundert häufig fotografiert wurde. Im Mittelpunkt der Arbeit steht ein Foto aus dem Jahr 1880, das am 4. März desselben Jahres in der Tageszeitung The Daily Graphic publiziert wurde. Es zeigt eine Barackensiedlung in Manhattan. Diese Fotografie wird für Formwalt zum Schlüsselelement, um parallel zur Errichtung des Parks mit all seinen durchstudierten, ästhetisch landschaftlichen Klischees die wirtschaftliche Entwicklung von Manhattan zu analysieren. Thematisch begleitet diese Arbeit die fotografische Serie Vanderbilt’s Wants (2010), welche aus drei Seiten besteht, die ebenfalls dem Daily Graphic des 4. März 1880 entnommen sind. Diese beschreiben die Absicht der Unternehmer, die Baracken der Armen in Manhattan niederzureißen und reproduzieren auf diese Weise das fotografische Bild einer Welt der sozialen Misere, wie sie bereits in Through a Fine Screen beschrieben wurde
In At Face Value (2008) setzt sich der Künstler mit diesen Fragen auseinander, indem er durch eine genauere Beleuchtung alter Briefmarken eine Interpretation des 20. Jahrhundert unternimmt. Von der Hyperinflation der Weimarer Republik bis zur Weltwirtschaftskrise 1929 in den Vereinigten Staaten von Amerika und Europa zeigt Formwalts Film, dass Briefmarken ein wertvolles und viel zu wenig genütztes Instrument zur Interpretation der bewegten wirtschaftlichen Entwicklungen und der Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts sind.
Die Geschichte der Wirtschaftstheorie steht auch im Fokus von Kritik der Politik und der Nationalökonomie (2009). Diese fotografische Arbeit Formwalts ist eine Reproduktion des Vertrags, den Karl Marx 1845 in Paris mit seinem Herausgeber Carl Leske unterzeichnete. Ein zweites Bild derselben Arbeit ist eine Fotografie des Hauses in der Rue Vanneau 38 in Paris, wo Marx zur Zeit der Unterzeichnung dieses Vertrages wohnte. Auch An Episode in the History of Free Trade (2008) nimmt Bezug auf die intellektuelle Biografie von Karl Marx. Die Arbeit rekonstruiert die Ereignisse des Freihandelskongresses in Brüssel im Jahr 1847. Als Redner waren unter anderem James Wilson, Begründer der Zeitschrift The Economist, und Karl Marx geladen. Die Collage von Formwalt präsentiert das dokumentarische Material dieser beiden Redebeiträge gemeinsam mit einer Rezension des Kongresses, die Friedrich Engels am 9. Oktober 1847 für The Northern Star erstellt hat. Darüber hinaus wird in dieser Arbeit die Seite eines Buches wieder abgebildet, das 1993 anlässlich des 150. Jubiläums von The Economist publiziert wurde und den Text der damaligen Rede James Wilsons in Brüssel auszugsweise wiedergibt. Ziel des Künstlers ist es, dieses Ereignis von 1847 aus unterschiedlichen Blickwinkeln und chronologischen Perspektiven zu zeigen, um den Nachhall dieses Ereignisses für und seinen Einfluss auf die Entwicklung der Wirtschaftstheorie in Europa und der ganzen Welt hervorzuheben.