Exhibition view, Ophelia's World,  Asta Gröting, 2007
Ausstellungen

OPHELIA’S WORLD

12.1.2007—10.3.2007

3 Hamburger Frauen (D), Asta Gröting (D), Una Hunderi (NO), Irini Karayannopoulou (GR), Margot Quan Knight (USA), Zoë Mendelson (GB), Marzia Migliora (I)
kuratiert von Sabine Gamper

Die Ausstellung „Ophelia’s World“ ist die Fortsetzung eines Projektes, das wir 2004 mit der Gruppenausstellung „Innocence & Violence“ (Unschuld & Gewalt) begonnen haben, und das sich mit dem Schaffen von Künstlerinnen im Kontext frauenspezifischer Fragestellungen auseinandersetzt.
Thema dieser Ausstellung ist Ophelia, William Shakespeares Figur aus „Hamlet“ (1602), eine Frauenfigur, die sich im Diskurs von Schönheit, Wahnsinn, Natur und Tod zu einem gesellschaftlichen Mythos entwickelt hat. Die Verehrung von Ophelia ging so weit, dass sich Frauen nach der Ophelia-Mode kleideten und Laubkränze ins Haar banden. Indem sie die Nahtstelle zwischen der Natur und dem Menschlichen kennzeichnete, wurde sie zum Gegenstand der Kunst erhoben – so wurde das Motiv der Selbstmörderin Ophelia im Frankreich des 19. Jahrhunderts in unzähligen Darstellungen von verschiedensten Künstlern festgehalten. Durch diese oszillierende Verknüpfung wurde die Frau von nun an mit all jenen Eigenschaften verbunden, die der „zivilisierte Mensch“ der Natur zuordnete: einerseits das vollkommen Gute, Reine und Hilflose, andererseits das absolut Gefährliche, Chaotische und Verführerische.
Die Verbindung des Bildes der Frau mit dem Element Wasser findet sich immer wieder in Musik, Kunst und Literatur, ebenso wie in den aktuellen Neuinterpretationen und Adaptionen in Spielfilmen, Comics oder Werbeprojektionen. Im Zuge des Trends hin zu Wellness und sanftem Tourismus erlebt diese singuläre Verbindung heute eine neue Konjunktur. Doch worin steckt die unglaubliche Faszination, die Ophelien, Sirenen, Nymphen und Wasserfrauen auf uns ausüben?
Die unsichtbare Klammer zwischen Wasser und Frau verbirgt sich vor allem in dem Begriff Leben. Wasser, Natur und Weiblichkeit stehen für die schöpferische Kraft und für die Fähigkeit, neues Leben zu gebären, für Mütterlichkeit, Eros und Sexualität, aber auch für die Macht über Leben und Tod. In dieser Zuweisung steckt sowohl die kreative Energie der Schöpfung wie auch jene der Zerstörung. Diese Kraft – befruchtend und bedrohlich zugleich – muss in den Bereich des Symbolischen überführt werden, damit sie gebändigt werden kann. Infolgedessen muss die schöne Frau, damit sie als Gegenstand der Kunst gefahrlos genossen werden kann, exemplarisch sterben. Ophelia ist somit die zum Kunstwerk erstarrte Tote, eine Verführerin, die nun nicht mehr bedrohlich ist, und deren Schönheit und Macht nicht länger Unruhe aulösen, sondern vielmehr allgemeine Faszination ausüben.

In dieser Ausstellung geht es darum, das Prinzip der Auslagerung dieser bedrohlichen weiblichen Kräfte umzukehren und über einen vielschichtigen Zugang anhand von Werken junger zeitgenössischer Künstlerinnen eine Recherche rund um die Kunstfigur Ophelia anzuregen. Im Hintergrund steht das Bestreben, die Bedeutung gesellschaftlich gewachsener Konstrukte rund um das Thema Ophelia für ein Frauenbild von heute in Erfahrung zu bringen. Indem nun die Verquickung von Weiblichkeit mit Natur, Wasser und Sinnlichkeit von Künstlerinnen aufgegriffen wird, lässt sich das Prinzip der Auslagerung des Fremden schon dadurch außer Kraft setzen, dass die Künstlerinnen sich nicht mit dem „Anderen“, sondern mit dem „Eigenen“ beschäftigen, und zwar häufig anhand des eigenen Körpers.
Jedoch geschieht dies heute nicht mehr in Form einer schmerzlichen Auseinandersetzung mit teilweise gewaltsamen Eingriffen in den eigenen Körper, wie es etwa noch bei den Künstlerinnen der Generation der 70er Jahre (z.B. Gina Pane) der Fall war, sondern mit gestiegenem Selbstbewusstsein mittels subtiler Kritik am kulturellen Selbstverständnis und einem großen Potential an Selbstironie.
3 Hamburger Frauen (D)
Ergül Cengiz (* 1975 Moosburg a.d. Isar, lebt in Hamburg), Henrieke Ribbe (*1979 in Hannover, lebt in Oslo und Berlin) und Kathrin Wolf (*1974 in Ruit, lebt in Hamburg)
Wandmalerei, „Memento“, 2007, ca. 500 x 350 cm
Speziell für die Ausstellung „Ophelia’s World“ entwickelt das Malerinnenkollektiv 3 Hamburger Frauen – Ergül Cengiz, Henrieke Ribbe und Kathrin Wolf – eine eigene Wandmalerei, wobei jede der drei Malerinnen für sich eine ganz bestimmte Motivik zum Thema erarbeitet, welche dann in einem unglaublich vitalen und frechen Mix an Techniken zu einem kompositionellen Gesamten zusammengefügt werden. Die 3 Hamburger Frauen beschäftigen sich mit klischeehaft besetzten Rollenbildern von Frauen, die sie mit einem kritischen und sehr ironischen Ansatz aufgreifen, indem sie sich selber in die Rolle der jeweiligen Statistinnen versetzen. Wie eine zweite Haut schlüpfen sie in unterschiedliche Frauenfiguren. Pflanzen, Tiere und Wasser sind dabei die Basiselemente, die der Erforschung und Aufdeckung des Klischees dienen. 3 Frauen, die sich der Vielseitigkeit und historischen Gewachsenheit eines gegenwärtigen Konstrukts von Frau-Sein mit allen diesbezüglichen Implikationen bewusst sind, und uns dessen vielfältige Klischeevorstellungen selbstbewusst provozierend vor Augen führen
Asta Gröting (D)
* 1961 in Herford bei Bielefeld. Sie lebt und arbeitet seit 1995 in Berlin und München.
„Die Schwimmerin“, 1997 (mit Marlen Thamm),
35 mm Film übertragen auf DVD (Farbe, Sound), 7’45“
Eine Frau läuft unter der Wasseroberfläche, sie befindet sich mit dem Kopf nach unten, wobei ihre Füße die Oberfläche über ihr abtasten. Ihr Körper dreht sich in freier Bewegung, jedoch mit genau vorgegebener Choreographie. Asta Gröting untersucht in dieser Videoarbeit die Bewegung des menschlichen Körpers im Element Wasser, das wegen seiner Formlosigkeit dem Chaos und der Urmaterie gleichgestellt werden kann.
In dieser Autonomie des Bewegungsablaufes der Schwimmerin, und in ihrem lebendigen Körperausdruck, werden Impulse eines Inneren in Gesten eines Äußeren gekehrt. Durch das Vertauschen der Elemente Luft und Wasser und durch die Invertierung von Oben und Unten spürt der Betrachter gleichzeitig Beklemmung und Faszination, die Schwimmerin verführt uns in einen Bereich zwischen Kontrolle und Abgrund.
Una Hunderi (NO)
* 1971 in Norwegen, lebt und arbeitet in Oslo
4 Fotografien aus der Serie „Domestic Landscapes“, 104 x 130 cm, Foto, 2002
Die norwegische Künstlerin Una Hunderi greift in ihren Fotografien tradierte Bildfindungsstrategien aus ihrer nordischen Herkunftskultur auf, welche die Natur als Quelle für Schönheit und Wohlbefinden versteht. Dabei scheut sich Hunderi keineswegs, Sujets zu verwenden, die mit einem konventionellen Verständnis von „Schönheit“ in Verbindung stehen, nämlich idyllische Natur, blühende Pflanzen, romantische Tiere und junge Frauen.
In der Folge verfremdet Hunderi die Inhalte ihrer Bilder zum Teil durch subtile Übertreibungen in der Farbgebung bzw. durch das Setzen von Brüchen und Pausen, die
sie anhand von Schnitttechniken erreicht die üblicherweise im Film angewendet werden. So schafft Una Hunderi fiktive Orte, die in ihrer Ambivalenz einerseits Anleihen einer romantischen Vorstellung von Natur sind, und gleichzeitig beinahe unmerkliche Elemente des Unheimlichen in sich tragen. Durch einen virtuosen Einsatz von Farbe und Licht gelingt es der Künstlerin, Stimmungen zu erzeugen und Assoziationen beim Betrachter anzuregen, die den Bildern gleichzeitig ein narratives Potential verleihen.
Irini Karayannopoulou (GR)
* in Tessaloniki, Griechenland, lebt und arbeitet in Athen
„My Room“, 2006, Video, Dauer 3’06“
Die griechische Künstlerin Irini Karayannopoulou realisiert Zeichnungen, die sie teilweise zu animierten Videofilmen montiert. In ihrer Arbeit XXX beschäftigt sie sich mit ihrem Alter Ego, das in Gestalt einer grazilen kleinen Tänzerin und dann wieder als Rocker-Junge mit wildem Haarschnitt auftritt. Repräsentationen einer menschlichen Figur, die den Gesetzen der Schwerkraft entwischen und deren Existenz von einer alles umfassenden Natur vereinnahmt scheint. Die Figuren sind Teilhaber an einer fiktiven Geschichte nach dem Vorbild antiker Fabeln, mit groteschen Schauplätzen und einer noch ungeordneten, wild wuchernden natürlichen Umwelt, deren Wachstum und deren Lebendigkeit im Zentrum des Geschehens stehen. Die Geschichte zeichnet sich durch eine phantastische und feuerwerksartige Geschwindigkeit aus, in der sich Pflanzen, Tiere und menschliche Figuren bewegen und verwandeln, als gäbe es keine von der Physik oder Zivilisation vorgegebene Reglementierungen. In ständiger Metamorphose verwandelt sich ein Bild in das nächste, und formen sich wild wuchernde Architekturen aus Pflanzenwelten. Darstellungen einer reinen, ursprünglichen und fundamental schöpferischen Kraft der uns umgebenden Natur.
Margot Quan Knight (USA)
* 1977 in Seattle (USA), lebt und arbeitet in San Francisco und Seattle
„Dock“ (Procreation), 2005, lambda print auf Aluminium, Triptychon, 2 Elemente: 70 x 50 cm jades, 1 Element: 70 x 100 cm, Ed. 7
Die amerikanische Künstlerin Margot Quan Knight beschäftigt sich in ihrer Fotoserie „Procreation“ mit dem Thema der künstlichen Befruchtung. Anhand inszenierter fotografischer Sets fingiert die Künstlerin Bilder, die durch anschließende digitale Eingriffe die reale Welt an Realität noch zu übertreffen scheinen. Mithilfe von Anleihen bei den formalen Kompositionen spätmittelalterlicher Malereien (im Speziellen Altarbilder des niederländischen Meisters Hugo van der Goes), eröffnet Quan Knight thematisch ein weites Feld, in welchem es um die Schöpfung neuen Lebens im Kontext christlicher Tradition geht. Göttinnen gleich befördern Frauen die mit Embryonen befruchteten Eizellen aus der Tiefe eines Sees, während zwei weibliche Engel die froschlaichartigen Stränge der DNA kontrollieren. Die ambivalente Verbindung zwischen dem organischen Element Wasser und der Frau als künstlicher Schöpferin führt zu Irritationen in der Assoziationskette der Betrachter.
Zoë Mendelson (GB)
* 1976 in London (GB), lebt und arbeitet in London
“Water Creeper”, 2006, Collage (Blätter aus einem naturwissenschaftlichen Buch, Bleistift, gerahmt), 30 x 40 cm
„Lockings“, 2006, Collage (Blätter aus einem naturwissenschaftlichen Buch, Bleistift, gerahmt), 30 x 40 cm
Zoe Mendelson präsentiert zwei Collagen, in denen sie gefundene Texte und Fotos mit ihren Zeichnungen versieht, um so eine Recherche jenseits des Offensichtlichen einzuleiten. Sie kombiniert scheinbar fremde Inhalte miteinander (Winston Churchills Kinderhaar, nackte Frauen in erotischer Pose, Pflanzen aus dem Lehrbuch oder wissenschaftliche Abhandlungen), und experimentiert mit ungewohnten Assoziationsketten und intuitiven gedanklichen Verknüpfungen. So entsteht eine unglaubliche Vielfalt an Bedeutungsebenen, welche ein ganzes Universum an Themen rund um weibliche Bilderwelten und Klischeevorstellungen eröffnet. Mendelson zeichnerische Inhalte bewegen sich rund um das Thema der weiblichen Erotik. Sie inszeniert ihre Frauenfiguren in diversen theatralischen Settings, eingebettet in eine verschwenderische, üppige Pflanzen – und Tierwelt. Somit entlarvt sie klassische Codes einer idealisierten Romantik als Vorwand für Obsessionen und geheime Wünsche, und kehrt damit unser kollektives Unterbewußtes nach außen.
Marzia Migliora (I)
* 1972 in Alessandria (Italien), lebt und arbeitet in Turin (I).
Ortiche / Nettles, 2001, video, DVD, Sound, Farbe, 2’46”, Videoprojektion.
Das Gesicht einer Frau taucht im Rhythmus ihrer Atmung aus einer Wanne gefüllt mit Milch und Brennnesselblättern auf und wieder unter. Im Hintergrund hört man das Singsang eines Schlafliedes und das Weinen eines Kleinkindes. Die Frau hat die Augen geschlossen, ihr Körper wirkt wie schlafend. Der hypnotische Rhythmus der Bildabfolge, die sich im Loop des Videos unendlich wiederholt, greift die wiederkehrende Struktur des Schlafliedes auf, das an die Ruhe des Schlafes erinnert. Der Bild- und Soundkontext vermittelt jedoch Ambivalenz, da er gleichzeitig die Möglichkeit der Entspannung sowie auch jene der Bedrohung innerhalb dieser intimen Szene suggeriert. Die Badewanne als ein Ort des Wohlbefindens kontrastiert mit der Präsenz der verletzenden Blätter der Brennnessel. Das Loslassen von der Realität beinhaltet hier gleichzeitig das Risiko eines Albtraumes, wodurch die Möglichkeit der totalen Entspannung und Hingabe verhindert wird.
„Lei“, 2005, 40 x 10 cm, weiße Baumwolle, Plexiglasbox, 40 x 10 x 8 cm
Die zweite Arbeit der Künstlerin ist „Lei“, eine Stoffpuppe aus weißer Baumwolle, die Migliora selber von Hand genäht hat. „Lei“ liegt seitlich ausgestreckt mit schwangerem Bauch und großen Brüsten unter einer Glasvitrine. Sie ist mehr als bloß eine Puppe: sie ist eine Repräsentation von Weiblichkeit, ähnlich der Figuren antiker weiblicher Gottheiten, deren Bäuche und Schambereiche betont waren, um die große schöpferische Kraft der Fruchtbarkeit des Weiblichen zu repräsentieren. „Lei“ repräsentiert den mütterlichen, den verletzlichen Leib (kommt von Leben!), im Gegensatz zu dem makellosen toten Körper (kommt von Korpus!) der schönen Kunstfigur Ophelia.