Exhibition view, Sigi Hofer, 2006
Ausstellungen

I’M JUST A GIRL WHO SAYS WHAT SHE FEELS

11.11.2006—23.12.2006

Siggi Hofer
kuratiert von Veit Loers

In Fortführung einer Reihe von Ausstellungen junger Südtiroler KünstlerInnen in den letzten Jahren, zeigt die ar/ge kunst Galerie Museum nun in Form einer Einzelpräsentation die Arbeiten des in Wien lebenden Künstlers Siggi Hofer, geboren 1970 in Bruneck.
Ausgehend vom Titel der Ausstellung, einem Schlagertext der 80er Jahre, der vom Künstler ins Englische adaptiert wurde, erarbeitet Siggi Hofer eigens für die Räumlichkeiten der Galerie Museum eine komplexe und gut choreographierte Schau, die aus mehreren unterschiedlichen Werkteilen besteht, so z.B. aus einer Reihe von groß- und kleinformatigen Aquarellzeichnungen, einer Modellburg, einem Video sowie Zeitungsartikeln und einem Paar von der Decke ragender Pferdebeine aus Holz.
In der Entwicklung des Gesamtkonzeptes bedingen sich die einzelnen Werke gegenseitig, eines geht aus dem anderen hervor, und gemeinsam ergeben sie in ihrer Gegenüberstellung den roten Faden, der den Betrachter durch das Hauptthema der Ausstellung führt, (mit dem gleichzeitig auch schon die Gegenposition zum Ausstellungstitel konstatiert wird): „Ein Übermaß an Realität“.

Als Bild für die Einladungskarte zur Ausstellung wählt Siggi Hofer den Ausschnitt eines Zeitungsartikels zu einem realen Ereignis aus seiner eigenen privaten Biografie (die er hiermit für öffentlich relevant erklärt), nämlich der Zerstörung seiner Wiener Wohnung nach einer Gasexplosion. Dieses Ereignis verknüpft Siggi Hofer diskursiv in seinen Gedankennotizen zur Ausstellung mit der Zerstörung des World Trade Centers in New York im Jahre 2001. Susan Sontag äußerte sich damals in Bezug auf die Fernsehberichterstattung rund um 9/11 folgendermaßen: nie sei Amerika weiter von der Wirklichkeit entfernt gewesen als zu diesem Zeitpunkt, als ein Übermaß an Wirklichkeit auf uns hereinstürzte.
„Übermaß“ prangt in großen Lettern über dem Modell einer mittelalterlichen Burg, die der Künstler in planerischer und handwerklicher Kleinstarbeit für die Ausstellung mit zeitgenössischen Anbauten ergänzt hat, (womit wir von der Textebene auf die Raumebene springen, eine Übung, die bei Siggi Hofer bedeutungsstiftend ist.) Mit seinen Objekten und Zeichnungen werden unsere herkömmlichen Begriffe von Raum und Ordnung, sowie die Qualität von menschlich geplanten Systemen hinterfragt, und gleichzeitig die Frage nach der Größenordnung und damit nach dem Maß (bzw. Übermaß) an Realität gestellt.

Das Private und das Öffentliche, die Idylle und die plötzliche Zerstörung stehen sich einander gegenüber, treffen aufeinander und wechseln die Vorzeichen. Die gängige Gleichsetzung des Privaten mit Idylle und Frieden und der äußeren Welt mit Zerstörung und Gefahr, unterläuft Siggi Hofer auf kritische und ironisierende Weise. Kleinformatige „schöne Aquarelle“ zeigen galoppierende Pferde, Almhütten oder intime Selbstportraits des Künstlers in seiner Wohnung, doch eines Tages brennt die Idylle, explodiert die Wohnung des Künstlers, oder steht die Menschheit vor einer tödlichen Bedrohung.
In seinen großformatigen Zeichnungen (ca. 3 Meter Breite), welche Städte- bzw. Landschaftsansichten aus der Vogelperspektive zeigen, zelebriert Siggi Hofer in beinahe obsessiver Detailgenauigkeit eine vermeintliche Kontrolle über solcherart chaotische Vorgänge. Rasterartig angeordnete Wohnsiedlungen, Industriebauten, Autobahnen, Brücken und Flüsse erstrecken sich über zerklüfteten Gegenden, und sind Bausteine einer utopischen Architektur. Macht und Kontrolle wird anhand einer rigiden, vom Künstler vorgegebenen Ordnung ausgeübt, die jedoch immer wieder an unterschiedlichen Stellen derart unterbrochen wird, dass sich letztlich Desorientierung breit macht.

In die architektonische Struktur eingefügte Textblöcke, wie „Der Schrei“, „Licht“ oder „Übermaß“, deren Bedeutung innerhalb des Bildes schwerlich nachvollziehbar ist, haben die Funktion kompositorischer und inhaltlicher Brüche und heben den narrativen Erzählstrang auf eine andere, parallele Ebene, jenseits der gewohnten Interpretationslinien von Bild – Inhalt – Text. Die Botschaften von Siggi Hofer werden immer erst in der Kombination der unterschiedlichen „Codes“ verständlich, die ausgestellten Werke müssen quer gelesen werden.
Das kleine Mädchen möchte nur mitteilen, was es fühlt, verursacht damit aber ein Desaster: sein geliebtes Pferd erschrickt, es erhebt gefährlich seine Hufe… Werden wir als Betrachter hier wohl ungeschoren davonkommen?