Andreas Bunte, Welt vor der Schwelle/World at the Threshold, still, 2012
Ausstellungen

ANDREAS BUNTE – WELT VOR DER SCHWELLE

14.9.2012—3.11.2012

kuratiert von Luigi Fassi

Im Mittelpunkt der künstlerischen Recherche von Andreas Bunte steht die Sozialgeschichte des Menschen, die er anhand der urbanen, politischen und baugeschichtlichen Entwicklung unserer Gesellschaft seziert. In seiner Analyse der Randgebiete unserer modernen Epoche und Zeitgeschichte hinterfragt er das Verhältnis zwischen städtischer und kultureller Entwicklung unserer Zivilisation sowie zwischen Baugeschichte und sozialen Verhaltensweisen. Bunte wendet dabei eine rigorose, aber zugleich bildschöpferische Analysemethode an, die in der Lage ist, historische Begebenheiten und Fiktion zu vermengen und visionären Erzählungen Gestalt zu verleihen.

Seine vorwiegend in schwarz-weiß gedrehten 16 mm Filme vermitteln daher auf synthetische Weise einige der großartigsten und zugleich dramatischsten Geschehnisse der Geschichte. Im Mittelpunkt der filmischen Arbeiten steht dabei vor allem die Moderne ab dem 19. Jahrhundert, in ihrer janusköpfigen Entwicklung zwischen allen möglichen Heilsutopien und der bevorstehenden Katastrophe. So schickt uns der deutsche Künstler mit seinen Arbeiten auf eine Raum-Zeit-Reise durch die Jahrhunderte der späten Neuzeit, dabei nehmen seine Arbeiten bei näherer Betrachtung die phantasmagorischen Züge einer epischen Erzählung an, die zwischen wissenschaftlichem Enzyklopädismus, Ideengeschichte und politischer Chronik schwankt. Anlässlich der ersten italienischen Einzelausstellung des Künstlers in Bozen entstand Buntes jüngster Film, Welt vor der Schwelle [World at the Threshold], (2012) der während der Eröffnung in der Galerie Museum in Bozen uraufgeführt wird. Es ist eine Synthese der vielfältigen künstlerischen Zugänge, die Bunte bereits in all seinen früheren Arbeiten erkennen ließ. Im Fokus des Films steht die religiöse Architektur Deutschlands in der Nachkriegszeit. Die Theorie, die sich wie ein roter Faden durch seine Arbeit zieht, folgt zwei Büchern des Architekten Rudolf Schwarz aus dem Jahr 1947, mit dem Titel Welt vor der Schwelle und Vom Bau der Kirche.

Das 16mm Video wurde als visuelle Entdeckungsreise durch drei bekannte zeitgenössische Kirchen Deutschlands gedreht, die Kirche Johannes XXIII. in Köln (Josef Rikus, 1968), der Nevigeser Wallfahrtsdom (Gottfried Böhm, 1966-68) und die Annakirche in Düren (Rudolf Schwarz, 1951-56). Dabei hinterfragt Bunte die ideologische Beschaffenheit der religiösen Architektur in Deutschland nach dem Unheil des Zweiten Weltkriegs. Als Folge und Ausdruck des Wirtschaftswunders seines Landes ab Mitte der 1950er Jahre, weisen die drei von Bunte analysierten Kirchen einen rigorosen, kompromisslosen Rationalismus auf, der sich darin begründet, die Beziehungen des Menschen zum Göttlichen neu zu definieren und eine neue Interpretation der Rolle der Kirche in einer säkularisierten Gesellschaft zu schaffen. Im Zentrum des Films steht dabei die Beziehung zwischen Individuum und Architektur, die von der Wechselwirkung zwischen dem Ort des Kultes und seiner Wahrnehmung durch Auge, Ohr und Tastsinn bestimmt wird. Die baulichen Details in Beton, die Abwesenheit von Ornamenten sowie die rohe Strenge der Räume und Ausstattungen stehen im Zentrum des Films, der die architektonischen Bauwerke in eine ästhetische Reflexion über die Beziehungen zwischen materieller Form und spirituellem Gebrauch, zwischen öffentlichem Raum und privater Devotion verwandelt. In seiner Erzählstruktur folgt der Film den kanonischen Regeln der wissenschaftlichen Dokumentarfilme, welche die Sprache so verwenden, dass sie höchst komplexe und vielfach unzugängliche Zusammenhänge für den Zuschauer verständlich und wahrnehmbar machen.

Bunte benützt in Welt vor der Schwelle jene formalen Instrumente der Analyse, die für das Genre des Wissenschaftsfilm typisch sind, darunter Aufnahmen in Zeitlupe, mikroskopische Vergrößerungen, Animationen, Diagramme und Kommentare aus dem Off. Auf diese Weise verleiht er seiner filmischen Arbeit einen neutralen, zugleich jedoch ideologischen Charakter. Dieser äußert sich darin, dass der Film in seinen logischen Schlussfolgerungen zur Gänze verständlich ist, zugleich aber manipulativ in seiner Fähigkeit, den Zuschauer zu einer ganz bestimmten Interpretation der Fakten zu drängen.