Alejandro Cesarco, Methodology, HD video with sound, 7 minutes, 2011
Ausstellungen

A LONG TIME AGO LAST NIGHT

18.11.2011—7.1.2012

Alejandro Cesarco
kuratiert von Luigi Fassi

Die Arbeiten von Alejandro Cesarco bewegen sich innerhalb der Grenzen der Konzeptkunst. Sie erforschen die Idee der Erzählung und die Bedingungen, die einen Text und seine Entstehung ermöglichen. Dabei legt Cesarco besonderes Augenmerk auf die Autonomie des Textes und auf die Art der Beziehung, die zwischen dem Werk und dem Betrachter, zwischen dem geschriebenen Wort und dem Leser entsteht. Der Akt der künstlerischen Produktion liegt für Cesarco bereits im Akt des Lesens begründet. So befassen sich alle seine Arbeiten mit Problemen der Hermeneutik und der Übersetzung, die aus einer literarischen Perspektive heraus betrachtet werden.

Index (a Novel) (2003) besteht aus dem alphabetisch geordneten Namensverzeichnis und Glossar eines Buches, das niemals geschrieben wurde, aber nichtsdestoweniger von Cesarco in der kanonischen Form eines Buches präsentiert wird, indem er einige vermeintliche Seiten davon ausstellt. Auf diese Weise wird das Verzeichnis zur paradoxen Aufforderung, das Buch vom Ende her zu lesen und zu interpretieren. Das Verzeichnis enthält eine Klassifikation der Namen, Orte und Geschehnisse, die für sich selbst stehen, unabhängig von dem Werk, auf das sie sich scheinbar beziehen. Dabei hat Cesarco sein Detailverzeichnis so konzipiert, dass es selbst zum Inhalt wird – ähnlich einem narrativen Hypertext, der in der Lage ist, den Leser in die Falle einer unendlichen Aneinanderreihung von Referenzen, Anspielungen und Intuitionen zu locken. Index fordert dazu auf, von den einzelnen Teilen auf das Ganze zu schließen, gleichsam als Versuch, das vorgestellte, jedoch nicht geschriebene Buch zu rekonstruieren, indem die Begriffe aus dem Verzeichnis zusammengefügt und kombiniert werden. Die im Index stehenden Begriffe werden aufgelistet, ohne eine gültige letzte Synthese vorzugeben. Heterogene Verzeichnisse verstricken sich miteinander und überlagern sich, sie beschwören aus dem Hintergrund das Profil einer persönlichen Existenz herauf und nehmen auf diese Weise die Züge einer möglichen Autobiographie des Künstlers an.

Everness (2008) ist ein Film, der sich aus fünf verschiedenen Kapiteln zusammensetzt, die von Cesarco in einem Skript zusammengefasst werden. Die einzelnen Kapitel bestehen aus literarischen Auseinandersetzungen sowie Szenen der politischen Geschichte und der häuslichen Intimsphäre. So beginnt Cesarcos Videoarbeit mit einem Monolog des Schauspielers über die Bedeutung der Tragödie in der westlichen Literatur und über die Erscheinung des Tragischen als kultureller Archetypus. Diese Reflexion fungiert als philosophischer Rahmen für alle folgenden Kapitel des Films. In einem weiteren Kapitel des Films lehnt sich der Dialog der Schauspieler an die zwei Hauptfiguren aus „Die Toten“ in James Joyces Kurzgeschichtensammlung „Dubliner“ an. Den Ehepartnern Gretta und Gabriel wird durch einen Zufall bewusst, dass ihr Leben aus ganz unterschiedlichen Erinnerungen besteht und dass sie in Wirklichkeit nichts voneinander wissen.
Die Zäsur der narrativen und spekulativen Momente des Films erfolgt durch zwei Lieder. Das erste Lied stammt aus der brasilianischen Tropicalismo-Bewegung der 60er Jahre. Diese Künstler- und Musikerbewegung entstand als Reaktion auf den Staatsstreich von 1964 und als Antwort auf die einsetzende Repression sowie auf die Einschränkung der politischen und bürgerlichen Rechte im Land. Das zweite Lied stammt aus dem spanischen Bürgerkrieg, es ist eine Hymne auf die heldenhafte Aufopferung der Kämpfer im spanischen Bürgerkrieg zwischen 1936 und 1939. Das Gefühl des Abschieds und der Erinnerung verdichtet sich im melancholischen Ende des Films, an dem die Handlung zunehmend an Klarheit verliert. Im Vordergrund sieht man ein schweigendes Paar am Frühstückstisch. Was zeigt uns diese Einstellung? Wird hier das Ende eines Streits festgehalten oder zeichnet sich am Frühstückstisch bereits das Ende der Beziehung zwischen dem Mann und der Frau ab?

Auch The Gift and the Retribution (2011) nimmt Bezug auf die Literatur. Das fotografische Diptychon besteht aus den Umschlägen zweier Bücher, „Los adioses” von Juan Carlos Onetti und “Poemas de amor” von Idea Vilariño, zwei der bedeutendsten Schriftsteller Uruguays im 20. Jahrhundert. Die zwei Bücher sind jeweils dem anderen Autor gewidmet. “Los adioses” ist Vilariño gewidmet, die ihrerseits “Poemas de amor” Onetti gewidmet hat. So wird die Widmung zum Bild der fortschreitenden Erfahrung, die sowohl die Arbeit als auch den Autor und die Leserschaft in die verschiedenen Zeiten und Orte, in die Gegenwart als auch in die Vergangenheit, miteinbezieht.

Der Autor Onetti wird auch im Werk Methodology (2011) thematisiert. Im Mittelpunkt steht der Dialog eines Paares, das an einem Tisch sitzt und sich mit dem Unsagbaren auseinandersetzt. Geschriebene Worte, Briefe und ein stummes Gespräch bestimmen den Diskurs der zwei Hauptfiguren dieser Arbeit. Die beiden versuchen, die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum – zwischen dem was gesagt werden darf, und dem was nicht gesagt werden soll – festzulegen. Dabei umfasst der Dialog des Paares die gesamte Palette der persönlichen Gefühle, bis hin zur Frage, welche Gefühle in den Beziehungen zu anderen Menschen von einem selbst zugelassen werden. Nicht alles, was gesagt wird, ist klar und verständlich. Vielmehr wird in diesem Dialog deutlich, dass es einen stets gegenwärtigen, opaken Moment gibt, wo die Verständigung zwischen Mann und Frau endet.